Motourismo Gründer Michael Carlin im Interview mit Klaus Spitzer
Wer später bremst, ist länger schnell, sagt man, und das stimmt natürlich. Aber wer seine Grenzen kennt, hat länger Spaß – und dazu noch sehr viel mehr – das stimmt auch. Dabei ist es keine Spaßfrage, ob du mit einem sicheren Gefühl auf dem Motorrad sitzt, denn dieses Gefühl kann ein schwerer Irrtum sein.
Wer ist nicht schon einmal an Grenzen gekommen, sei es aus Übermut, sei es durch das Fehlverhalten anderer? Beides kommt meist unverhofft – und genau das macht die Sache so knifflig: Ausnahmesituationen sind nur routiniert zu meistern, wenn man sie ganz bewusst zur Routine macht. Sonst kann Routine richtig teuflisch werden und dich in falscher Sicherheit wiegen. Eine gute Möglichkeit hierfür sind die unterschiedlichsten Motorrad-Trainings, in denen man bewusst mit diesen Situationen konfrontiert wird.
Vielleicht hast du bisher noch kein Training absolviert im Glauben, du hättest es nicht nötig? MOTOURISMO-Gründer Michael Carlin kennt das von sich selbst und fragt darum den Experten: Interview mit Klaus Spitzer, Sozialpädagoge, Motorrad-Instruktor und Betreiber des MOTOURISMO-Partners KURVENREICH Zweirad‑Seminare.
Michael: Also, wenn du mich fragst, würde ich sagen… Motorrad fahren kann ich schon. Ich fahre seit mehr als 20 Jahren, da kamen hunderttausende Kilometer zusammen. Warum sollte ich ein Motorradtraining machen, wenn ich eigentlich nie das Gefühl hatte, dass ich das brauche?
Klaus: Weil du damit exakt die Routine-Falle beschreibst. Fangen wir mal ganz vorne an. Motorradfahren will gelernt sein, das weiß jeder, da widerspricht auch niemand. Am Anfang ist das Zusammenspiel von Kupplung, Gas, Bremse und Schräglage noch eine Herausforderung, auf die man sich ständig konzentriert. Und je mehr man fährt, desto einfacher wird es. Die Kurven werden runder, der Fahrstil flotter, die Schräglagen tiefer – jetzt fängt der Spaß so richtig an. Aber es ist zugleich die Phase, in der man erst beginnt, echte Erfahrungen zu sammeln, also kleine Grenzsituationen, in denen zum Beispiel mal das Hinterrad ein bisschen rutscht. Wie stellt man sich dann darauf ein? Indem man solche Situationen vermeidet. So beginnt die Routine, in der wir auf Autopilot schalten – ein jeder in seinem Modus: sportlich, flott oder gemütlich. Umschalten kann man natürlich auch. Aber passt die Gangart immer zum Fahrkönnen? Und können wir nun behaupten, gute Fahrer zu sein?
Nun ja, vielleicht schon. Ich meine, es kommt darauf an, was genau „guter Fahrer“ heißt.
Eben. Es gibt keinen gültigen Motorradfahrer-Test. Außer vielleicht die Fahrprüfung oder die Rennstrecke. Aber auch hier gilt: Haben wir wirklich alle Informationen, die wir brauchen? Hatten wir einen guten Fahrlehrer? Sind Rundenzeiten ein guter Indikator für einen guten Motorradfahrer? Gibt es nichts mehr dazu zu lernen? An diesen Stellen knüpfen Motorrad-Trainings an.
Wie immer im Leben: vermutlich schon. Ich würde aber behaupten, so ziemlich alles Wichtige zu wissen, da ich ja bisher durchaus ganz gut zurecht gekommen bin. Der Langsamste bin ich jedenfalls noch nie gewesen.
Damit hast du gute Chancen, zur Mehrheit der Motorradfahrer zu gehören, die ihre eigenen Fähigkeiten überschätzen, eben weil sie in der Routine-Falle hocken. Wer glaubt nicht, besser fahren zu können als viele andere? Weil unsere Selbsteinschätzung auf unseren Erfahrungen basiert, stellen wir aus ihnen das Bild zusammen, das wir von uns und unseren Fähigkeiten haben. Der blinde Fleck in der Verarbeitung der Erlebnisse besteht aber darin, dass wir einen entscheidenden Teil einfach auslassen: nämlich all das, was wir in den verschiedenen Situationen nicht wussten oder nicht bedacht haben. Wir überschätzen uns, weil uns nicht klar ist, was wir alles nicht wissen, und weil wir dies in der Fahrroutine schnell und gern ausblenden. Hier kann ein Motorradtraining dazu beitragen, die Augen zu öffnen.
Aber wenn das so ist, kommt man ja auch nicht aus dieser Falle raus.
Doch, wenn wir wollen, dann schon: Wir brauchen neben unserer Selbsteinschätzung eine Fremdeinschätzung. Das kann die Rückmeldung von einem Biker-Kollegen sein, einem Trainer oder der Trainingsgruppe. Und hier kommen Sicherheitstrainings ins Spiel.
Du meinst, weil jeder früher oder später in der Routine-Falle hockt, braucht auch jeder ein Sicherheitstraining?
Nicht unbedingt speziell ein Sicherheitstraining, aber grundsätzlich ein Motorradtraining, ja, auf jeden Fall. Ob Fahranfänger, Wiedereinsteiger oder Routinier: Jeder kann aus einem guten Motorradtraining etwas für sich mitnehmen. Dabei ist es für jeden etwas anderes. Wiederholer berichten, dass das gleiche Training beim selben Trainer trotzdem noch neue Einsichten und Erkenntnisse gebracht hat. Aber grundsätzlich unterscheiden sich Trainings durch ihre verschiedenen Schwerpunkte. Welches das richtige Training für dich ist, kommt zum Beispiel auf Fahrpraxis, Fahrkönnen und Vorerfahrungen an.
Für mich waren bisher nur Enduro-Trainings interessant. Vielleicht lerne ich gerade, warum: Hier im Gelände ist mir klar, dass es Dinge gibt, die ich noch nicht weiß und noch nicht kann, und dass ich noch was lernen kann.
Dann stimmt das vermutlich auch, aber es ist noch nicht alles. Beim Endurofahren sind Gleichgewicht, Sitzposition und Blickführung die elementaren Grundlagen, die auch auf der Straße eine entscheidende Rolle spielen. Dasselbe gilt auch für Motorrad-Trainings auf Rennstrecken oder ähnlich gut ausgebauten Plätzen. Hier geht es zwar vor allem um den sportlichen Gedanken: ohne Gegenverkehr ausprobieren, wo die eigenen Grenzen liegen. Aber auch diese Erfahrungen helfen dabei, besser zu fahren und das Motorrad zu beherrschen. Darüber hinaus gibt es noch viele interessante Kombinationen: Motorrad-Trainings im Straßenverkehr, Frauenkurse oder Einzelcoachings. Wenn ich dir jetzt sage, dass Kurse, die vom Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR) zertifiziert sind, auf Verkehrsprävention setzen, klingt das relativ langweilig – ist es aber nicht. Hier arbeitet ein Moderator, der das Verhalten der Teilnehmer in der Gruppe reflektiert. Es wird nichts vorgegeben, sondern die Erkenntnisse werden gemeinsam entwickelt und in praktischen Übungen umgesetzt. Stabilisieren, Bremsen, Ausweichen, Kurvenfahren: Es wird alles geübt, was hilft, knifflige Situationen zu beherrschen. Somit sind solche Motorrad-Trainings für Anfänger, Wiedereinsteiger und Routiniers gleich gut geeignet. Darum geben hier auch viele Berufsgenossenschaften Zuschüsse.
Sind das die Kurse mit den Stützrädern?
Du meinst die Auslegermotorräder. Nein, sie kommen nur bei bestimmten Sicherheitstrainings zum Einsatz, die vor allem die Fahrfertigkeit im Blick haben. Das sind zum Beispiel Kurven- oder Schräglagentrainings. Hier sollten nur geübte Fahrer buchen, die an der Schräglage arbeiten oder ihre Kurvenlinie verbessern wollen.
Nur geübte Fahrer, aha, also ich.
Ich bin mir nicht so sicher, ob du gerade schon große Fortschritte machst bei der Reflektion deiner Selbsteinschätzung.
Ok, ok, verstanden. Das finde ich dann noch im Motorradtraining raus. Immerhin konnte ich bisher zumindest bei den Endurotrainings gut damit umgehen, dass ich hier nicht zu den Großmeistern gehöre.
Das ist doch schon mal ein guter Anfang. Grundsätzlich helfen ja auch immer zwei Gedanken. Der erste stammt von Bernt Spiegel, dem Autor der Motorradfahrer-Bibel „Die obere Hälfte des Motorrads“. Darin beschäftigt er sich auch mit den Gründen, warum Fahrern oftmals die Motivation fehlt, besser werden zu wollen: weil sie ihre Fahrweise ihrem Können anpassen. Kommt dann doch mal etwas Unvorhergesehenes, finden sie Gründe, woran es gelegen hat – und zwar selten bei ihnen selbst. Spiegel jedenfalls sagt: „Erfahrung ist das, was man zu haben glaubt, bevor man anfängt, mehr davon zu erwerben.“ – Und der zweite Gedanke ist noch viel einfacher: Auch Profis trainieren – das allein sollte schon jedem Routinier einleuchten.
Kurvenreich bedankt sich für das Interview!
Quelle: https://www.motourismo.com/de/motorradtrainings.html